Hey, hier schreibt euer Gärtner-Tom. Ich habe mir für den September etwas Auszeit von Leipzig genommen und bin in einem wahren Paradies für Freunde alter Apfelsorten gelandet – dem Obstarboretum Olderdissen in Bielefeld. Auf etwa 2 ha Land befindet sich hier eine Sammlung von über 350 Apfelsorten aus Europa und Nordamerika.

reichtragende alte Mostapfelsorte ohne überlieferten Namen aus der Rhön

Besonders an dem Bioland-Obstbetrieb, der mit der Sammlung verbunden ist, dass hier komplett auf Pflanzenschutzmittel gegen Pilzkrankheiten wie Schorf, Mehltau, Regenflecken, Elsinoe Blattflecken und Obstbaumkrebs verzichtet wird. Zum Vergleich: im konventionellen und auch dem biologischen Erwerbsanbau von Tafelobst finden je nach Wetterbedingungen bis zur Ernte der Äpfel bis zu 50 Spritzungen von Pflanzenschutzmitteln gegen Pilzkrankheiten, sogenannte Fungizide, statt. Ausschließlich der Apfelwickler (Obstmade) wird mit einer Pheromonverwirrungsmethode und einer Spritzung von Granuloseviren biologisch behandelt, um die Zahl wurmstichiger Äpfel zu verringern.

Vergesst die klassischen „Supermarkt-Apfelsorten“

Der Verzicht auf Fungizide im Obstaboretum bleibt nicht ohne Folgen. Vor allem die Äpfel der heute üblichen Supermarkt-Sorten wie Jonagold, Gala, Golden Delicious, Braeburn, Elster, Rubinette, Pinova oder Topaz sehen ohne intensiven Pflanzenschutz kümmerlich und unschön aus (das kann man sich bei einigen Sorten in der Sammlung direkt anschauen). Ihr makelloses Aussehen im Handel erhalten sie nur dank intensiver Pflanzenschutzmaßnahmen. Dabei weiß eigentlich jede*r, der*die Apfelbäume im Garten stehen hat, dass ein naturbelassener Apfel selten frei von Makeln ist und trotzdem gut schmecken kann.

Jonagold ohne Fungizidspritzung – leider sehr anfällig für Schorf

Es gibt im Apfeluniversum glücklicherweise nicht nur die 10 bis 20 üblichen krankheitsanfälligen Supermarktäpfel, sondern eine Vielfalt von tausenden Apfelsorten. Bis in die 1950er Jahre war es in Deutschland nicht üblich Äpfel mit Fungiziden zu spritzen. Man hat bis dahin in der Züchtung und im Erwerbsanbau einfach auf robuste Sorten gesetzt, die wenig anfällig für Krankheiten waren und die zusätzlich gute Geschmacks- und äußerliche Eigenschaften hatten. Außerdem haben die Verbraucher*innen durchaus auch Äpfel mit Schönheitsfehlern gekauft, wenn der Geschmack dafür besonders gut war. Das Obstaboretum knüpft an diese traditionelle Anbauweise an und verkauft ausschließlich Apfelsorten, die auch ohne intensiven Pflanzenschutz eine gute Fruchtqualität erreichen. Im eigenen Hofladen werden neben diesem Tafelobst auch naturtrüber Apfelsaft und -marmeladen aus Fallobst und optisch nicht verkaufsfähigem Obst verkauft. Die Kund*innen können alles selbst probieren und entdecken, welche Sorte ihnen am besten schmeckt. Besonders dankbar sind die Kund*innen auch für die Auswahl an Sorten, die für Menschen mit Apfelallergie verträglich sind.

Langtons Sondergleichen, Westfälischer Frühapfel, Mantet, Jakob Fischer, Apollo, Biesterfelder Renette – hier gibt es mehr zu entdecken als die Standardsupermarktsorten – auch für Apfelallergiker

Warum habe ich diese Auszeit genommen?

Es gibt in der Solawi immer wieder mal den Wunsch nach mehr Obst, am besten über das ganze Jahr verteilt. Beim Ernten der bestehenden Bäume und Sträucher in Stünz und auch beim Aufbau der Obstwiese in Brandis ist uns im Gärtner*innenteam an vielen Punkten aufgefallen, dass wir mehr fundiertes Wissen zum Obstbau brauchen, um gut mit Herausforderungen wie Schädlingen, Trockenheit, Baumerziehung oder Lagerung umgehen zu können. Ich hätte mir auch weiterhin noch sehr viel Theorie zu diesen Themen aneignen können, dachte mir aber, es wäre am besten, direkt mal in die gärtnerische Praxis eines Obstbaubetriebs hineinzuschauen. Und siehe da, durch etwas Recherche bin ich auf das Obstarboretum in Bielefeld gestoßen und dachte mir gleich, dass die im Internet beschriebene unkonventionelle Anbauweise richtig gut zusammen passt mit unserer Vorstellung, Obst traditionell ohne intensiven Pflanzenschutz anzubauen und trotzdem eine gute Qualität der Früchte zu erreichen. Das Obstarboretum kann mittlerweile auf Erfahrungswissen im Obstanbau aus 30 Jahren zurück greifen und ist dadurch eine wirklich fundierte Quelle selbst für knifflige Themen. Nach einem kurzen Telefonat mit Hans-Joachim Bannier, dem Betriebsleiter des Obstarboretums und gleichzeitig einer vielbeschäftigsten Pomologen in Deutschland, habe ich für September ein Praktikum vereinbart.

Was habe ich im Obstarboretum gemacht?

Im September findet ein großer Teil der Apfelernte statt. Die Erntesaison beginnt im Juli/August mit sehr frühen Sommeräpfeln wie dem Klarapfel und endet im Oktober mit Spätwinteräpfeln wie dem Glockenapfel oder Ontario. Der September liegt also mitten in der Erntezeit und ich habe hier vermutlich mehr als 30 Sorten selbst geerntet und mindestens 40 Sorten selbst probiert. Das Ernten von Tafelobst ist dabei nicht so einfach, wie man es vielleicht denkt. Einmal wöchentlich wird durch leichtes Anheben der Äpfel am Stiel kontrolliert, welche Apfelsorten bereits pflückreif sind. Beim Pflücken des Tafelobstes muss auf die Pflückreife, Größe, Aussehen, Wurmlöcher und vor allem darauf geachtet werden, dass der Apfel keine Beschädigungen durch das Pflücken oder beim Transport ins Lager bekommt, da er sonst schneller fault. Eine Wichtige Erkenntnis: Viele Äpfel entfalten tatsächlich erst durch den Reifeprozess während der Lagerung ihr bestes Aroma. Vom Baum schmeckt der Apfel meistens nicht ganz so gut. Die verkaufsfähigen Größen und das Aussehen können von Sorte zu Sorte unterschiedlich sein. Anders als im Großhandelsgeschäft, können im Direktverkauf auch kleinere oder sehr große Äpfel noch als Tafelobst verkauft werden. Der*die Obstliebhaber*in hat also neben den unterschiedlichen Sorten letztlich auch mehr Größenvielfalt zur Auswahl. Die Jahresmenge an verkauftem Tafelobst liegt bei über 20 t

von klitzeklein bis riesengroß ist eine Menge dabei bei der Apfelernte – die Sorte Jakob Fischer neigt dazu Riesenfrüchte mit Einzelfruchgewichten von über 200g zu machen – schmecken tut er trotzdem richtig gut

Ab Anfang September wird im Obstarboretum und auf den Streuobstwiesen des Betriebs außerdem auch Fallobst für die Apfelsaftherstellung gesammelt, das entweder selbst vom Baum gefallen ist oder mit der Rüttelstange heruntergeschüttelt wurde. Neben Äpfeln haben wir auch Birnen für Birnensaft bzw. Apfel-/Birnensaft gesammelt und zur Mosterei gebracht. Gleichzeitig gibt es auch vier Termine an denen umliegende Streuobstwiesenbesitzer*innen ihr Fallobst gegen Geld oder Saft tauschen können. Zu den Sammlungen bei der Mosterei kamen so wirklich große Mengen zusammen. Die Bilanz nach einem Annahmetag allein waren 9,5 t Äpfel und 1,5 t Birnen. Zur Orientierung: aus 1kg Äpfel entsteht ungefähr eine 0,7 l Flasche Apfelsaft. Die Jahresmenge an gesammeltem Fallobst beträgt zwischen 30 und 35 t Äpfel.

Bunte Mischung an Fallobst für die Apfelsaftpressung

Was habe ich im Obstbau-Praktikum gelernt?

Zu allererst: ja es ist möglich, (Tafel-)Obst in größeren Mengen ganz ohne Fungizide anzubauen und trotzdem eine gute Qualität und einen guten Ernteertrag zu haben. Wichtig ist dabei vor allem die Sortenauswahl! Und ich habe in der Tat eine Menge richtig gut geeignete Sorten für diese Art des Anbaus kennengelernt, die durchaus gut aussehen und anders als viele Supermarktäpfel geschmacklich auch einige Überraschungen zu bieten haben.

Darüber hinaus habe ich natürlich viel über die betrieblichen Abläufe speziell bei der Ernte, Mostobstsammlung, Lagerung und im Verkauf gelernt. Insbesondere beim Thema Obstbaumschnitt werde ich mich aber noch weiterbilden müssen (das findet erst im Winter statt), denn schließlich ist der Obstbaumschnitt einer der wichtigsten Faktoren für die Menge und Qualität der Obsternte.

Wie geht es mit dem Obstanbau bei uns weiter?

Nach meinem Praktikum bin ich mir noch nicht ganz sicher, ob und wie wir den Obstanbau in unserer Solawi erweitern wollen. Ich würde mich daher sehr über eure Meinungen, Anregungen, Fragen und Wünsche zu dem Thema und natürlich auch über die Unterstützung bei der Pflege der bestehenden Obstbäumen freuen.


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